Ist ein Fahrzeug nach einem Unfall ein Reparatur- oder ein Totalschaden? Diese Frage lässt sich übersetzen zu: Was ist günstiger,
- die Reparatur eines Fahrzeugs oder
- die Beschaffung eines Ersatzfahrzeugs?
Das lässt sich ermitteln, indem ein Gutachter die Kosten aus Sicht des Fahrzeughalters für beide Fälle ermittelt:
- Reparaturfall (Reparatur günstiger)
Der Fahrzeughalter müsste die Reparatur zahlen und den verminderten Wert seines Fahrzeugs in Kauf nehmen. Folglich addiert der Sachverständige Reparaturkosten + Minderwert. Quelle: BGH. - Totalschadenfall (Ersatzfahrzeug günstiger)
Der Fahrzeughalter müsste die Kosten für ein gleichwertiges Ersatzfahrzeug zahlen. Der Sachverständige ermittelt also den Wert des Fahrzeugs vor dem Unfall. Ein Ersatzfahrzeug darf bis zu diesem Wert kosten, deshalb nennt man diesen Wert den Wiederbeschaffungswert.
130%-Regelung im Totalschadenfall
Ist die Reparatur teurer als ein Ersatzfahrzeug, hat der Anspruchsteller trotzdem die Möglichkeit, das Fahrzeug im Haftpflichtschadenfall reparieren zu lassen. Dafür gibt es zwei Bedingungen:
- Die Reparaturkosten + Minderwert liegen unterhalb von 130% des Wiederbeschaffungswerts.
- Der Anspruchsteller kann nachweisen, dass er das Fahrzeug mindestens 6 Monate weiter nutzen wird. Oft wird zuerst auf Totalschadenbasis reguliert und sobald der Nutzungsnachweis im Nachhinein erbracht worden ist, werden die restlichen Reparaturkosten ausbezahlt.
Das BGH urteilt zum Totalschaden wie folgt (BGH Urteil vom 3.3.2009, VI ZR 100/08):
"Übersteigt der Kraftfahrzeugschaden den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs - im Rahmen der 130%-Grenze -, können Reparaturkosten, die über dem Wiederbeschaffungsaufwand des Fahrzeugs liegen, grundsätzlich nur dann zuerkannt werden, wenn die Reparatur fachgerecht und in einem Umfang durchgeführt wird, wie ihn der Sachverständige zur Grundlage seiner Kostenschätzung gemacht hat, und wenn diese Reparaturkosten konkret angefallen sind oder wenn der Geschädigte nachweisbar wertmäßig in einem Umfang repariert hat, der den Wiederbeschaffungsaufwand übersteigt, und dass anderenfalls die Höhe des Ersatzanspruchs auf den Wiederbeschaffungsaufwand beschränkt ist. Hingegen spielt die Qualität der Reparatur so lange keine Rolle, wie die geschätzten Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigen, so dass in diesem Fall die vom Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts ohne Abzug des Restwerts verlangt werden können."
Wirtschaftlicher Totalschaden
Sind die Reparaturkosten kleiner als der Wiederbeschaffungswert, kann ein Sonderfall eintreten. Die Logik dahinter ist, dass man die Reparaturkosten mit dem Betrag vergleicht, den man aufwenden muss, wenn man sein verunfalltes Wrack verkauft (Restwert) und sich ein Ersatzfahrzeug kauft (Wiederbeschaffungswert).
Wie hoch ist also die Zuzahlung? Zuzahlung = Wiederbeschaffungswert - Restwert.
Diese Zuzahlung heißt im Fachjargon Wiederbeschaffungsaufwand, nicht zu verwechseln mit dem Wiederbeschaffungswert.
Liegen die Reparaturkosten also
- unterhalb des Wiederbeschaffungswertes,
- aber oberhalb des Wiederbeschaffungsaufwands
wäre es am günstigsten, das Wrack zu verkaufen und ein Ersatzfahrzeug zu erhalten.
Auch bei einem wirtschaftlichen Totalschaden hat der Anspruchsteller aber das Recht, das Fahrzeug reparieren zu lassen.
Wichtig ist diese Betrachtung aber für die fiktive Abrechnung ohne Reparatur. Tritt ein wirtschaftlicher Totalschaden ein und der Anspruchsteller rechnet fiktiv ab, wird auf Basis eines wirtschaftlichen Totalschadens reguliert. Er erhält von der Versicherung dann nur den Wiederbeschaffungsaufwand (also die "Zuzahlung"), weil er das Fahrzeugwrack selbst verkaufen könnte und sich laut Gesetz nicht am Schaden bereichern darf.
Alternative Definition
Während Versicherungen wie die Allianz, DA Direct und viele weitere den wirtschaftlichen Totalschaden so definieren wie oben, gibt es auch einige Rechtsanwälte, Versicherer und Sachverständige, die unter dem wirtschaftlichen Totalschaden verstehen, dass die Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert übersteigen. Von dieser Definition raten wir ab, weil dieser Fall bereits vom "echten" Totalschaden abgedeckt ist.
Für Privatleute Bruttowerte, für Unternehmer Nettowerte
Für Privatleute werden Bruttowerte verglichen, für vorsteuerabzugsberechtigte Unternehmer werden Nettowerte verglichen, weil die Entscheidung zwischen Reparatur oder Ersatzfahrzeug immer aus Sicht des Geschädigten gefällt werden muss. Für beides zahlt der Privatmann auch MwSt., der Unternehmer unterm Strich nicht.
Quelle
Urteil des Oberlandesgerichts München vom 01.12.2017 – 10 U 3025/17
Somit sind grundsätzlich die jeweiligen Bruttowerte miteinander zu vergleichen (BGH, NJW 2009, NJW Jahr 2009 Seite 1340). Ist der Geschädigte vorsteuerabzugsberechtigt, sind die Nettowerte (Netto-WBA, Netto-WBW, Netto-Restwert) als Vergleichsmaßstab heranzuziehen.
Dadurch kann das Verhältnis zwischen Privatmann und Unternehmen abweichen
Das Verhältnis aus Reparaturkosten zu Wiederbeschaffungswert kann im gleichen Schadenfall für einen privaten und einen vorsteuerabzugsberechtigten Anspruchsteller unterschiedlich sein, wenn bei älteren Fahrzeugen, die nur noch gebraucht gehandelt werden, üblicherweise die Differenzbesteuerung gilt oder gar keine MwSt. ausgewiesen werden kann.
Reparaturkosten + Minderwert, aber keine Wertverbesserung
Gemäß des folgenden BGH-Urteils gilt für die Ermittlung der Schadensklasse, dass der Wiederbeschaffungswert mit der Summe aus
- Reparaturkosten
- Minderwert
verglichen werden muss. Eine etwaige Wertverbesserung oder Abzüge neu-für-alt werden dabei nicht berücksichtigt.
Quelle
Urteil des Bundesgerichtshofs vom 15.10.1991 – VI ZR 314/90
Ausschlaggebend ist die jeweilige finanzielle Belastung und diese konkretisiert sich vornehmlich einerseits in den Kosten der Reparatur einschließlich des danach etwa verbleibenden Minderwerts und andererseits in dem Aufwand für eine Ersatzbeschaffung.